Vertrauen ist der menschliche USP

Vertrauen ist der menschliche USP

KI-Systeme können Empathie inzwischen überzeugend simulieren – oft sogar besser als Menschen. Doch das, was Organisationen wirklich trägt, bleibt einzigartig menschlich: das zwischen Menschen gewachsene Vertrauen.

Ein Artikel von Sabine Prohaska

KI-Systeme werden immer besser darin,

  • die menschliche Sprache zu verstehen,
  • Personen, ein Feedback zu geben,
  • ihre Mimik und Gestik zu interpretieren und
  • im Dialog mit ihnen empathisch zu wirken.

In zahlreichen Blindtests schneidet die KI bezüglich ihrer Empathie bzw. ihres vom Gegenüber empfundenen Einfühlungsvermögens heute sogar schon besser ab als menschliche Kommunikationspartner. Das belegt unter anderem eine Studie von Ovsyannikova, de Mello und Inzlicht, die in der Zeitschrift Communications Psychology veröffentlicht wurde.

KI-Systeme wirken oft emphatischer als Menschen

In vier Experimenten mit 556 Teilnehmern wurden die empathischen Reaktionen auf geschilderte persönliche Erlebnisse verglichen: einmal von Menschen, einmal von einer KI (ChatGPT-4). Das Ergebnis war eindeutig: Die KI-Antworten wurden durchgehend als mitfühlender, verständnisvoller und unterstützender bewertet als die menschlichen. Und die Gründe liegen auf der Hand:

  • Menschen stehen oft unter Zeitdruck, sind manchmal emotional erschöpft oder reagieren ungeduldig.
  • KI-Systeme hingegen liefern konsistent empathische Antworten, ohne Mitgefühlsmüdigkeit und Stress.

Bemerkenswert ist auch: Die Studien-Teilnehmer bevorzugten die KI-Antworten selbst dann, wenn sie wussten, diese sie von einer Maschine stammen. Offenbar zählt die (empfundene) Qualität der Antwort für sie mehr als deren Quelle. Das ist bemerkenswert und zugleich ein Weckruf. Denn wenn selbst Empathie digital simulierbar ist, worin besteht dann noch der Vorzug von uns Menschen gegenüber einer KI? Die Antwort lautet: im Vertrauen.

Vertrauen kann nicht programmiert werden

Während Empathie sich in Codes und Algorithmen nachbilden bzw. simulieren lässt, bleibt Vertrauen ein zutiefst menschlicher Prozess. Das Entstehen von Vertrauen erfordert außer Zeit und Beziehung auch Authentizität und die Bereitschaft, sich verletzlich zu zeigen. Das kann keine Maschine übernehmen. Oder würden Sie zum Beispiel Ihr Kind ausschließlich von Robotern im Kindergarten betreuen lassen, selbst wenn diese perfekt mit allem verfügbaren erziehungswissenschaftlichem Wissen programmiert wären? Oder Ihre Eltern im Pflegeheim? Vermutlich nicht!

Und genau hier liegt unser menschlicher USP als Führungskraft oder Kollege, Trainer und Coach: Nicht darin perfekt zu sein, sondern darin, vertrauenswürdig zu sein und zu handeln. Vertrauen ist die Grundlage für alles, was Organisationen voranbringt, wie Zusammenarbeit, Innovationskraft, Veränderungsbereitschaft. Ohne Vertrauen keine Offenheit, keine Kreativität und keine echte Lernkultur.

Vertrauen gezielt auf- und ausbauen

So weit, so gut, doch was heißt dies für unseren (Berufs- und Arbeits-)Alltag? Vertrauen klingt oft wie ein großes, fast abstraktes Ideal. In der Praxis zeigt sich aber, dass es vor allem kleine, oft nahezu unbedeutend erscheinende Handlungen sind, die Vertrauen entstehen lassen. Drei Bereiche sind dabei besonders wirksam:

  1. Klarheit schaffen: Menschen vertrauen, wenn sie wissen, woran sie sind. Unklare Ziele oder schwammige Ansagen erzeugen Unsicherheit und die ist Gift für Vertrauen. Tipp nicht nur für Führungskräfte: Sie können das Entstehen von Vortrauen zum Beispiel fördern, indem sie Erwartungen transparent machen, Entscheidungen begründen und auch dann kommunizieren, wenn es noch keine endgültigen Antworten gibt.
  2. Verlässlichkeit zeigen: Vertrauen wächst, wenn die Worte und Taten übereinstimmen. Es geht nicht darum, immer Großartiges zu leisten, sondern darum, Verbindlichkeit zu leben. Tipp nicht nur für Führungskräfte: Eingehaltene Versprechen, Rückmeldungen zum vereinbarten Zeitpunkt und das konsequente Umsetzen von Feedbacksignalen sind starke Vertrauensanker.
  3. Verletzlichkeit zulassen: Perfektion wirkt distanziert. Vertrauen entsteht dann, wenn wir bereit sind, auch unsere menschliche Seite und Gefühle zu zeigen. Tipp nicht nur für Führungskräfte: Dazu gehört auch mal, Fehler, Schwächen usw. einzugestehen, Zweifel zu benennen oder zu sagen: „Darauf habe ich gerade keine Antwort, aber lassen Sie uns gemeinsam überlegen.“

Menschliche Stärken neu definieren und entdecken

Ich bin der festen Überzeugung: Die Frage, was uns Menschen eigentlich ausmacht, wird uns in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen, denn: Die KI zwingt uns, genauer hinzuschauen, welche Stärken wirklich einzigartig menschlich sind, und welche Aufgaben, Funktionen usw. eher Maschinen übernehmen sollten.

Beim Thema Empathie sehen wir schon jetzt, dass die KI alte Gewissheiten und Selbstbilder von uns ins Wanken bringt, denn: Lange Zeit galt Empathie als einer der klassisch menschlichen Stärken. Das scheint zumindest teilweise ein Trugschluss zu sein – das belegen auch die zahlreichen KI-gestützten Coaching- und Lernprogramme, die immer mehr Menschen (und Unternehmen) ganz selbstverständlich zum Erreichen der unterschiedlichsten Ziele nutzen.

Diese Erkenntnis ist unbequem und unangenehm, doch sie beinhaltet auch eine Chance. Denn sie erfordert von uns, uns als Mensch teilweise neu zu definieren und unsere Energie und Aufmerksamkeit auf teils andere Tätigkeits- und Entwicklungsfelder zu richten.

Welche Stärken – außer Vertrauen – haben wir noch?

Vertrauen ist dabei ein zentrales Element, doch sicherlich nicht das einzige. Nur wenn wir uns der Frage, was uns Menschen wirklich einzigartig macht, stellen und diese ernsthaft beantworten, werden wir unseren Platz in unserer zunehmend technisierten Welt richtig bestimmen und letztlich auch die KI so nutzen können, dass sie uns Menschen wirklich dient.

Zur Autorin:

Sabine Prohaska ist Inhaberin des Beratungsunternehmens seminar consult prohaska (Wien), das Unternehmen unter anderem beim Entwickeln einer neuen Lernkultur und Kultur der Zusammenarbeit in ihrer Organisation unterstützt.


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