Personalauswahl: Bitte ohne Bauchgefühl

„Eine der wichtigsten Investitionsentscheidungen ist die Personalauswahl. Dennoch wird sie noch immer nicht mit der heute möglichen Professionalität vorgenommen“, sagt Uwe Peter Kanning. Im Interview mit unserer Zeitschrift erläutert der Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück Vorteile von Personalauswahl auf Basis wissenschaftlicher Ergebnisse.

dl: Herr Professor Kanning, Ihrer Erfahrung nach ist das Bauchgefühl nach wie vor der wichtigste Ratgeber bei der Personalauswahl. Was ist so schlecht daran?

Uwe Peter Kanning: Personalauswahl nach dem Bauchgefühl führt zu nachweisbar schlechteren Auswahlentscheidungen. Wer so auswählt, nimmt Bewerber in systematischer Weise verzerrt war und dies ohne es selbst zu merken: Gut aussehende Bewerber werden als intelligenter und sozial kompetenter erlebt als weniger gut aussehende. Übergewichtige Bewerber erscheinen ebenso weniger geeignet wie Dialekt sprechende Bewerber oder Bewerber mit ausländischem Namen. Der berühmte erste Eindruck verstellt den Blick auf die nachweisbare Qualifikation.

 

dl: Aber bestimmen spontane Sympathie oder Antipathie nicht maßgeblich das Zwischenmenschliche? Und dieses Empfinden soll bei der Personalauswahl wirklich keine Rolle spielen?

Uwe Peter Kanning:
Sympathie darf durchaus auch eine Rolle spielen – wenn zuvor in einem professionellen Auswahlverfahren die tatsächliche Eignung der Kandidaten geklärt wurde. Sind am Ende zwei Bewerber gleich gut geeignet, spricht nichts dagegen, den sympathischeren zu nehmen. Dies gilt natürlich nur, wenn der Auswählende später auch mit dem Bewerber persönlich zusammenarbeitet. Im Übrigen täuscht Sympathie oft. Manchen Bewerber sind uns spontan sympathisch, weil sie vielleicht ansprechend aussehen oder dem Interviewer nach dem Munde reden. Später im Berufsalltag legt sich dann die spontane Sympathie wieder. Bei anderen Personen ist es genau umgekehrt, sie werden uns erst sympathisch, wenn wir sie länger und näher kennen gelernt haben.

dl: Wozu raten Sie den Unternehmen nun stattdessen in Sachen ‚Personalauswahl‘?

Uwe Peter Kanning: Zu dem Vorgehen, das die Forschung seit Jahrzehnten als das Vorteilhaftere erkannt hat: Auswahlentscheidungen werden besser, wenn sehr systematisch vorgegangen wird und alle Bewerber nach denselben Kriterien bewertet werden. Deshalb ist es wichtig, vor der Sichtung der Bewerbungsunterlagen klare Mindestanforderungen zu definieren. Im Interview bedeutet ein strukturiertes Vorgehen beispielsweise, einen Leitfaden zu haben, in dem die Fragen stehen, die allen Bewerbern in gleicher Weise gestellt werden. Diese Fragen haben nichts mit der zirkulierenden Ratgeberliteratur gemein, sondern beziehen sich explizit auf die spezifischen Anforderungen der Stelle. Zudem braucht es ein Raster zur Bewertung jeder einzelnen Antwort. Wer Bewerbern im Interview unterschiedliche Fragen stellt, kann sie an Ende nicht sinnvoll untereinander vergleichen.

dl: Sind das nun Verfahren und Vorgehensweisen, die maßgeblich auf die Personalrekrutierung der großen Unternehmen zugeschnitten sind oder sind sie auch für kleine und mittelständische Unternehmen wie Dentallabors praktikabel?

Uwe Peter Kanning: Natürlich gibt es Auswahlmethoden, die für mittlere und kleinere Unternehmen schwer zu realisieren sind. Etwa ein umfangreiches Assessment Center. Grundlegende Qualitätskriterien aber lassen sich auch in kleineren Firmen realisieren: Eine klare Definition der stellenbezogenen Anforderung; die Festlegung von grundlegenden Kriterien zur Sichtung der Bewerbungsunterlagen; die Vorbereitung eines Interviews in Form einen Leitfadens; die Durchführung des Interviews durch zwei Personen. Ratsam für die KMU ist auch zu überlegen, welche gewohnten, überholten Vorgehensweisen der Personalauswahlpraxis sich als in die Irre führend erwiesen haben. So sagen beispielsweise Lücken im Lebenslauf, der eine oder andere Tippfehler oder Hobbys aus der wissenschaftlichen Erfahrung heraus so gut wie nichts über einen Menschen aus.

dl: Wie ist die Kostenseite einer professionellen Personalauswahl?

Uwe Peter Kanning: Dies verlangt zwangsläufig einen höheren Kostenaufwand, allein schon deshalb, weil mehr Zeit und Mühe in Vorbereitung und Durchführung investiert werden muss. Dennoch ist die kurz skizzierte auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Personalauswahl deutlich kostengünstiger als die Personalauswahl aus dem Bauch heraus, führt sie doch viel sicherer dazu, die am besten geeigneten respektive die leistungsstärkeren Bewerber tatsächlich aus dem Bewerberpool herauszufischen. Forschungserkenntnisse belegen: Bei gleicher fachlicher Qualifikation können die Leistungsunterschiede zwischen Bewerbern durchaus 30 Prozent und mehr betragen. Gelingt es, mit einem aufwändigeren Auswahlverfahren nur einen Bewerber zu identifizieren, der zehn Prozent leistungsstärker als seine Mitbewerber ist, haben sich die höheren Kosten meist schon nach einem Jahr amortisiert. Entscheidend für die Kostenbetrachtung ist die Tatsache: Jedes Auswahlverfahren stellt eine Investitionsentscheidung dar. Wer einen Mitarbeiter einstellt, der dem Arbeitgeber im Jahr 50.000 Euro kostet und zehn Jahre im Unternehmen verbleibt, trifft im Rahmen der Personalauswahl eine Investitionsentscheidung über 500.000 Euro. Da empfiehlt es sich schon, die Auswahlentscheidung auf ein solides Fundament zu stellen.

dl: Auf welchen Grundlagen fußt die wissenschaftlich abgesicherte Personaldiagnostik?

Uwe Peter Kanning: Seit über 50 Jahren wird zur Personalauswahl geforscht. Pro Jahr erscheinen mehr als 700 wissenschaftliche Publikationen. In der Forschung wird unter anderem beispielsweise die Qualität einer Auswahlentscheidung über die Zeit hinweg berechnet. Es geht darum, herauszufinden, wie gut sich mit unterschiedlichen Auswahlmethoden der berufliche Erfolg von Bewerbern prognostizieren lässt. Beispielsweise hat sich herausgestellt, über das klassische unstrukturierte Vorstellungsgespräch lässt die berufliche Leistung nur zu etwa vier Prozent vorhersagen. Bei hoch strukturierten Interviews ist die Aussagekraft bis zu achtmal höher. Die Prognosegüte von wissenschaftlich entwickelten Leistungstests liegt im Durchschnitt bei 25 Prozent und steigt bei wichtigen Führungspositionen sogar noch an.

dl: Sie haben 20 Jahre Erfahrung auf diesem Gebiet, viel dazu publiziert. Warum, was meinen Sie, verzichten viele Unternehmen nach wie vor auf Vorgehensweisen, die ihnen deutlich mehr Sicherheit bei der Personalauswahl bieten?

Uwe Peter Kanning: Kern des Problems ist, die meisten Verantwortlichen wissen schlicht und einfach zu wenig oder gar nichts über die einschlägigen Forschungsergebnisse. Ein nicht zu unterschätzender Aspekt der Problematik ist aber auch: Professionelle Diagnostik wird von erfahrenen Leuten oft auch als Bedrohung angesehen, weil sie die selbst erlebte Kompetenz der Entscheidungsträger in Frage stellt und ihnen ein Stück weit die Macht nimmt, wie ein Türsteher über Wohl und Wehe der Kandidaten zu entscheiden. Ein weiterer Grund liegt in der fehlenden beziehungsweise ungenügenden Überprüfung der Auswahlentscheidungen. So wird jede Stellenbesetzung, die sich im Nachhinein nicht als völliger Irrtum erweist, als gute Personalentscheidung angesehen. Was zur Folge hat, die Schwächen des eigenen Vorgehens treten nur in Extremfällen offen zu Tage. Und so haben die Verantwortlichen subjektiv aufgrund fehlender Evaluation die Überzeugung, alles richtig gemacht zu haben.

dl: Bitte skizzieren Sie noch einmal kurz und knapp die entscheidenden Punkte, die für die Verabschiedung des Bauchgefühls bei der Personalauswahl sprechen!

Uwe Peter Kanning: Bauchentscheidungen führen in der Personalauswahl dazu, dass sich die Entscheidungsträger wohl fühlen. Das Ziel professioneller Personalarbeit ist jedoch nicht ein möglichst zufriedener Entscheidungsträger, sondern eine für den Betrieb möglichst gute Auswahlentscheidung. Seit Jahrzehnten zeigt die Forschung, dass Auswahlentscheidungen zu deutlich besseren Ergebnissen führen, wenn man sich nicht von seinem Bauch, sondern von diagnostischer Fachkompetenz leiten lässt und die Personalauswahl mit diagnostischer Professionalität durchführt. Die Entscheidungen, die hier getroffen werden, sind weitreichende Entscheidungen: Für alle Beteiligten, für die Unternehmen wie für die Bewerberinnen und Bewerber, sind sie viel zu wichtig, um sie dem subjektiven Empfinden zu überlassen.

Hartmut Volk